Die Feldpost des Anton Hügel (Auszug)

Anton Hügel

Georg Anton Hügel (6.7. 1910 in Mainz – 30.8. 1944 in der Nähe von Theben) wurde nach dem Besuch der Volks- und der Gewerbeschule Schlosser; seit 1930 im Besitz eines Führerscheins (auch für LKWs) spezialisierte er sich auf die Kfz-Reparatur und war vor und während des Kriegs Chauffeur und Autoschlosser. Vor dem Krieg bei Opel und (der noch heute in Mainz ansässigen) Fa. Roemheld. Als Fachkraft für LKW-Reparatur stand sein Name auf einer Liste von Spezialisten, deren Versetzung einer zentralen Stelle des OKH (Oberkommando des Heeres) gemeldet werden musste. Diese Fähigkeit führte mittelbar auch zu seinem Tod: seine Kompanie bekam Badeurlaub, nachdem er einen LKW wieder in Stand gesetzt hatte. Kurz vor dem Partisanenüberfall tauschte er mit dem Hauptmann den Platz; so saß der Hauptmann am Steuer und überlebte, während der nun danebensitzende Gefreite für den ranghöchsten Offizier gehalten wurde und das Opfer mehrerer Kugeln wurde.

Familie Hügel, die Eltern kamen Mitte der 1890er Jahre aus Ober-Abt-Steinach (heute in Hessen, bei Weinheim) nach Mainz, war streng katholisch und einfachen Standes. Die Mutter Dienstmädchen, der Vater einfachster Postbeamter – er sortierte sein ganzes Berufsleben Briefe. Katholisch und Zentrumsnah traten Hügels keiner der NS-Pflichtorganisationen bei; weder der DAF, der NSF noch einer ihrer Unterorganisationen – schon gar nicht der Partei. 1933 wird er schon auf die ersten Judenverfolgungen aufmerksam und berichtet darüber der Familie (s. die ausgestellte Notiz: „Bitte aufheben Anton“).
Am 4. 4. 1936 heiratete Anton Hügel in Mainz die gleichaltrige Krankenschwester Antonia Wolz und bezog mit ihr eine nahe des Hauptbahnhofs gelegene Wohnung in einem genossenschaftlichen Wohnkomplex, in dem auch seine Eltern wohnten. Seiner Antonia schrieb Anton mehr als 700 Briefe von der Front. Antonia bündelte sie mit bunten Schleifen und verwahrte sie in einer Holzkiste.

Die Angabe in Anton Hügels Wehrpass bei der Musterung „Freiwilliger“ ist ohne seine Einwilligung geschehen. Gemustert im Mai 1938 musste er im August 1939 einrücken und verbrachte den Tag der Geburt seiner Tochter Elisabeth in einer Mainzer Kaserne an der Pariser Straße. 1940 wurde er in Westfrankreich und an der Maginot-Linie eingesetzt; 1941-43 an der Heimatfront zum „Schutz kriegswichtiger Anlagen“ in Baden und Bayern; 1943-44 zur „Bekämpfung der Bandenbewegung in Griechenland“ – so steht es im Wehrpass.
Auch bei der Geburt seines Sohnes Ende Juni 1944 konnte er nicht bei seiner Frau sein. Er bekam aber noch vor seinem Tod die ersten Fotos von Mutter, Tochter und Sohn. Diesem schrieb er kurz vor seinem Tod für den 16. Geburtstag noch den in der Vitrine ausgestellten Brief: 

„Bekommst Du also diesen Brief, dann stehst Du vor der Berufswahl. Du hast die Wahl des Weges nach oben oder unten. Nach Herr oder Knecht. Nach Freiheit oder Unfreiheit. Und besonders die Freiheit, das menschenwürdige Leben, ist alle Arbeit und alle Entbehrungen wert. Will Dir mal schildern wie ich mir Deinen Weg gedacht habe. Höhere Schulbildung, Lehrzeit bei irgend einem grossen Unternehmen. Sei es im Schiffahrtsbetrieb oder der Chemischen Industrie. Während Deiner Lehrzeit eifriges Studium von Fremdsprachen. Hast Du Deine Lehrzeit beendet, dann sehe zu, dass Du aus Deutschland raus kommen kannst. Erwirb Dir wo anders die Staatsangehörigkeit. Soweit man nämlich alles übersehen kann, dürfte es um die Freiheit in Deutschland nach dem Kriege nicht rosig bestellt sein. Und ständig unter Kontrolle zu leben, nicht tun und lassen zu können was man will, dies und das verschweigen zu müssen, in den oder jenen Verein beitreten zu müssen, vor jedem Uniformträger einen höflichen Knicks zu machen, ist schrecklich. Drum lieber weg. Baue Dir woanders ein neues, lebenswertes, freies Leben auf.“         (Prof. Dr. Hans-Otto Hügel)

 

 

29. 8. Dienstag

Liebes Frauchen.
Wie geht es Dir. Bist Du mir auch soweit es dein Zustand zu lässt, gesund? Was macht unsere Tochter? Komisch, dass nun auf einmal noch jemand da ist. Fast will es mir nicht in den Kopf. Ist unsere Döchting noch genau so lieb + proper wie am Anfang? Ich würde Euch so gerne mal sehen. Glaube aber nicht an Urlaub so lange die Lage noch so gespannt ist. Gestern Abend sollen 3 Frauen da gewesen sein zum gratulieren. War aber in der Kaserne zum schlafen. Vermutlich Lisbeth. Wer aber waren die beiden anderen? Bin fabelhaft neugierig. Wenn der Zauber nur vorüber wäre. Habe die Geschichte satt bis zum Hals. Die Schaben sind abends furchtbar. Fast wird man aufgefressen von den Biestern. Hat Mädy schon geschrieben? War Lotte da. Ist der Schovoo schon eingezogen oder erfreut er sich noch der Freiheit? Unser lb. Nachbar ist doch bestimmt zu Hause. Wie könnte es anders sein! Hat Otto geschrieben? Ist die Mama noch bei dir oder betreut dich Mutter? Hoffentlich ist bei Dir alles in Ordnung. Wenn wir in 14 Tagen noch nicht wieder zu Hause sind + Du Dich wieder wohl fühlst, sei doch so lieb + besuche mich mal. Aber abends nach ½ 7. 

Viele herzl. Grüsse + Busserl an Dich + Döchting.
Dein Dondo. 

 

19. 6. 1940 Mittwoch

Mein Frauchen Du!
Nun sind wir den 2. Tag im Feindesland. Diesmal tatsächlich. Und haben 2 Länder gesehen. Belgien + Frankreich. Was man da für Bilder sieht! Wir können Gott nicht genug danken, dass er uns vor den Schrecken des Krieges bewahrte. Was man da für Bilder sieht! Entsetzlich! Die Häuser kaputt. Das Möbel zerschossen und was nicht in Trümmer ging wurde grösstenteils so kaputt oder wurde repariert. Die armen Menschen! Für was? – Uns geht es gut. Zu Essen in Hülle + Fülle. Wein, Lebkuchen, Cognak u.s.w. Alles was es nur giebt. Es ist ja so viel da. Hühner und Wein + nochmals Wein. Was wäre es doch für alle so gut, wenn Frankreich ein Ende machen würde. Habe schon am Montag eine Bowle getrunken auf Friedensschluss mit Frankreich. Hatten bestimmt dass Schluss wäre. Falsch kalkuliert! Das Etui mit den Bildern hat mir schon viel Freude bereitet. Und dafür meinen herzlichen Dank. Sei nur ohne Sorge um mich. Sie ist unnötig. Vollständig unnötig. Habe also nur keine Angst. Sie ist unnötig. Deine Briefe habe ich erhalten auch den von Tischler. Was mir Kummer macht sind meine Strümpfe. Bestehen nur noch aus Löchern. Wirst Deine helle Freude dran haben wenn Du sie wieder in die Finger bekommst. Konnte bis jetzt aber keine anderen erhalten. – Sei nicht böse, dass ich jetzt auf höre. Muss Schluss machen da Alle schon essen. Auch ich habe Hunger.

Sei recht herzlich gegrüsst + geküsst von Deinem Dich liebenden Dondo.
Ein Bussi für Bobby. 

 

25. 8. 1940

Mein Frauchen Du!
Im Geist sehe ich Dich zu Hause sitzen + mir schreiben. Denn heute schreibst Du mir ganz bestimmt. Ist der heutige Tag doch für uns von Bedeutung. Der 25. August 1939!!! Gut + schlecht an einem Tag! Heute vor einem Jahr schenktest Du mir unser kleines Mädchen. Und in der Nacht musste ich einrücken. Und Dich mit der Kleinen allein lassen. Gerade in der Stunde wo Du mich am nötigsten gebraucht hättest musste ich Dich verlassen. Wie mir das schwer fiel! Und kein Mensch hatte Verständnis für unsere Lage. Heute, bei allem möglichen z.B. Silberne Hochzeit der Eltern, erhalten gewisse Leute Urlaub. Aber der Krieg geht auch vorbei. Lass’ mich Dir nochmals für unser liebes Mädchen danken. Und der Kleinen wünsche ich alles, alles Gute zu ihrem ersten Geburtstag. Habe ihr, als ich am Freitag in Caen war ein Spielzeug mit gebracht. Hoffentlich hat sie Spass daran. Wollte zuerst eine Puppe nehmen. Dieselben hatten aber keine schönen Gesichter. Die sind in Deutschland schöner. Schicke die 3 Entchen heute noch ab. Bin gespannt wann dieselben ankommen. – Bis jetzt habe ich 16 Radio verkauft. Davon konnte ich sechs Stück schon erhalten. Am 3. September erhalte ich den Rest. Erhalte dafür ein neues Gerät und habe bereits 7.5 Rm heraus gehandelt. Bist Du nicht platt über Deinen Geschäftstüchtigen Mann? Könnte noch viel mehr verkaufen wenn die Firma liefern könnte. – Eigentlich müsste der Grossangriff auf England heute beginnen. Ist doch ganz herrliches Wetter. Blau der Himmel. So, dass die Maschinen schlecht gesehen werden können. Und die Vorbereitungen wären auch lange genug gewesen. – Mit Ausnahme von gestern erhielt ich jeden Tag Post von Dir. Hoffentlich bekomme ich heute abend wieder etwas. Will jetzt Schluss machen. In 5 Minuten geht die Post ab. Dadurch bekommst Du den Brief einen ganzen Tag früher.

Sei recht herzlich gegrüsst + geküsst von Deinem Dondo.
Ein Busserl an unser Geburtstags Mädchen.
Viele Grüsse an die Eltern. 

 

25. 12. 1940

Mein liebes Frauchen Du!
Nun ist Weihnachten da. Die zweite Kriegsweihnacht. Die zweite Weihnacht die jeder von uns allein feiern muss. Das Fest der Familie, des bei einander sitzens. Was ist bei uns daraus geworden. Du in Mainz und ich hier in Romilly[-sur-Seine]. So sieht unsere Weihnachten 1940 aus. Ob es das letzte Mal ist, dass wir getrennt feiern müssen? Was gebe ich drum. Und was das ganze noch schlimmer macht, wir haben alle mit einander keine Post erhalten. Kein Mensch hier hat auch nur eine Zeile von zu Haus erhalten. Das ganze betittelt sich Fürsorge des Soldaten! Das ist doch das mindeste was man hätte verlangen können. Da werden grosse Töne gespuckt was alles getan wird. Und an dem Fest, das sich das Deutsche nennt, hat man noch nicht mal eine Zeile von seinen Angehörigen zu Hause. Wenn halt soviel Post da war, dann hätten die zu Hause halt mal 20 Stunden im Tag arbeiten sollen. Wir haben es ja auch schon getan und werden es auch sicher im Frühjahr wieder tun müssen. Nach uns fragt ja auch keiner. Wenn bei uns etwas gemacht werden muss und wenn es der grösste Blödsinn ist, dann muss es gemacht werden. Ohne, dass wir fragen dürfen wie lange wir arbeiten müssen. 

Abends 20.00

Nun ist doch ein Brief, der vom 14.12. angekommen. Eine Weihnachtsfreude. Maria hat ein Päckchen geschickt. Inhalt: Zigaretten, Schnaps + Plätzchen. Auf ein Kärtchen ein paar Worte. Habe den ganzen Summs Bitterling gegeben mit dem Hinweis er solle dasselbe irgend einem armen Hascherl geben. – Haben seit gestern wieder einen Radio. Durch meine Unverfrorenheit. Sollten drei einkaufen für die Batterie und haben vier gekauft. Den übrigen habe ich gleich versteckt, sodass nun auch die Kraftfahrer ein Gerät auf Batteriekosten haben. Man kann so wenigstens mal etwas hören. Und das ist viel wert. Bitterling hat sein Nüddelchen bekommen. Gestern abend wurde er Unteroffizier. Dann mal tau! Der Beschertag verlief folgendermassen. Um 13.30 fuhr ich nach Provins zum einkaufen von Oefen, Radio, Rechnungen bezahlen und das Vorkomando, das das Ruhequartier in Ordnung brachte, holen. Kamen gerade zur offz. Weihnachtsfeier zurück. Ich, ohne Mantel, ohne Handschuhe dreckig verschmutzt. Die Feier fand im freien statt. Zwei Wagen brachte der angetretenen Batterie die Geschenke. Man hatte sich wirklich Mühe gegeben. Was nützte das aber mir. Ich stand da und fror ganz jämmerlich. Am abend trank ich warmen Wein und eine Flasche Sekt, damit ich richtig müde war und legte mich ins Bett. Wurde nachts um 3 Uhr wach, trank eine Flasche Bier und schlief bis zum Morgen 9 Uhr. Heute Mittag schrieb ich dann an dem Brief bis die Tinte ausging. Da trank ich noch eine Flasche Sekt und schlief wieder bis um 6 Uhr. So wird auch der zweite Feiertag vergehen. Das ist dann meine Weihnachten 1940. Und zu Hause sagen sie dann: „Das ist doch nicht so schlimm, das machen doch Millionen anderer auch mit.“ Jawohl! Sie selbst aber sind schön zu Hause geblieben bei ihren Frauen und Kindern. Na ja, der Kämpfer im zivilen Luftschutz hat die gleiche Ehre und gleiche Verantwortung wie der Soldat an der Front! Klar, die reklamierten bringen überhaupt die grössten Opfer. (eben spielt das Radio: „Wie eiskalt ist ihr Händchen...“.) Weisst Du noch wann wir das zusammen hörten? Wie uns zu Mute war? Wie waren wir froh und glücklich! Überhaupt hat mir das Theater viel mehr gegeben wenn wir zusammen waren. Wenn wir uns zusammen freuen konnten. Und jetzt sind wir durch diesen blödsinnigen Krieg getrennt. Wer weiss wie lange?! Das ist aber alles nichts! Wie sagen sie zu Hause? „Ihr habts gut! Bekommt gut zu essen und braucht nicht zu arbeiten!“ Sollen doch zu uns kommen. Ich tausche gerne. Besser Pellkartoffeln und Salz und bei Dir als hier Sekt und das beste Essen. Was besagt das Essen wenn ich von Dir getrennt bin? Bist Du doch mein Alles. Hat doch ohne Dich nichts Wert. Nichts fällt so ins Gewicht als die Trennung von Dir. Will gerne alles ertragen wenn ich bei Dir bin. Mal sehen was dann kommt wenn der Krieg mal tatsächlich zu Ende ist. Die grösste Härte ist aber genommen wenn ich wieder bei Dir bin. Bei Dir!! Wie ich mich darauf freue! Kann es mir gar nicht mehr vorstellen für immer bei Dir zu sein. Das Glück ist zu gross. Frage mich als mal ob der Tag tatsächlich mal kommt. Das ist mir unfassbar geworden. Kannst Du Dir vorstellen, dass mal ein Tag kommt an dem wir immer zusammen sein können. An dem uns nichts mehr trennt. Wo wir für immer einander gehören. Unfassbar ist mir dies. Aber der Tag muss kommen! Gingen doch auch die 3 Jahre Arbeitslosigkeit vorbei! Trotzdem ist’s mir unvorstellbar. Was treibt unser süsses Mädchen? Bin ja so froh, dass wir sie haben! Kann Dir dafür nicht genug danken. Niemals! Und was ist sie so lieb und hübsch! Wie gerne hätte ich sie unter dem Weihnachtsbaum gesehen! Was hat sie gemacht als sie den brennenden Lichterbaum sah? Wie waren ihre Augen? Kannst mir glauben, dass mir das Weinen sehr nahe steht wenn ich an Euch denke. Und für was das alles? Um den Ehrgeiz und die borniertheit einzelner. Könnte die Kriegsverbrecher mit einem Lachen zusammen schiessen. Das wäre eine Wohltat ohnegleichen für mich. Denn nur die, die nichts besitzen sind wie überall im Leben die Dummen. Die Besitzenden sind schön zu Hause und mehren ihren Reichtum. Hüben und drüben! Oder haben wir einen materiellen Besitz der diese Opfer rechtfertigt? Unsere paar Möbel können sie ruhig kaputt schmeissen. Was liegt daran? ---- Sei Du und Bobby recht herzlich gegrüsst und innigst geküsst von Eurem Dondo. 

 

11. September 42

Du mein Lieb!
Habe gerade keine Lust zum schreiben heute Abend. Will mich aber doch dazu aufraffen damit Du am Sonntag wenigstens ein paar Zeilen hast. Bin eben nämlich mal wieder in der trübsten Stimmung. Habe das Leben so satt, dass ich es Dir überhaupt nicht schildern kann. Das ganze Leben das ich jetzt schon drei Jahre führe ekelt mich unsagbar an. Werden denn die Menschen überhaupt nicht mehr klug? Für was das alles? Ein paar Drahtzieher hüben wie drüben die die Menschheit aufhetzen. Jeder glaubt, oder tut wenigstens so, er erleide das alles für sein Wohlergehen, bezw. das seiner Kinder. Und was ist das Fazit jeden Krieges? Nur Not und Elend. Dass die Menschen, die sich angeblich selbstregieren, soweit nicht kommen können zu sagen bis hier her und nicht weiter. Jeder schimpft auf den Krieg. Aber es macht sich keiner ein Gedanke weshalb, warum, wieso. Alle nehmen es hin als ein Kismet. Und spricht schon einer mal darüber, dann ist’s bestimmt aus der Zeitung nachgeplappert. Wie ein Papagei. Man sollte so was nicht für möglich halten. Sind denn die Menschen so denkfaul? Betz bekam heute eine Schilderung des Angriffes auf Bischofsheim. Wir machen jetzt das mit was die Engländer von Ende 1940 bis Anfang 1941 mitmachen mussten. Der Gummi der die Städte ausradiert ist nach England gekommen. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass das in absehbarer Zeit anders werden könnte. Du brauchst nur die Berichte von den Kämpfen von Stalingrad gehört zu haben. Das spricht Bände. Die Russen wehren sich verzweifelt. Und dauernd erzählt man uns von schweren Abwehrkämpfen an den anderen Frontabschnitten. Ein Zeichen, dass die noch lange nicht am Rand sind. Und unter solchen Umständen Truppen vom Osten abziehen für den Kampf gegen England? Lächerlich. Wie soll das erst 1943 werden? Da haben die Engländer noch mehr Flugzeuge zur Verfügung. Wie wurde doch immer alles ins Lächerliche gezogen als es hiess die Times hätte erklärt 1942 würde die Kriegsproduktion erst anfangen richtig zu laufen. Und das Datum 1943 gar löste ein homerisches Gelächter aus! Und nun? Jetzt sind die Angriffe da und 1943 liegt nicht in weiter Ferne sondern greifbar nahe. Was besagen 3 ½ Monate die uns vom neuen Jahr noch trennen? Wenn der Krieg zu Ende ist wird es genau so sein wie zur Zeit der Bauernkriege. Damals sagten die Bauern am Schluss auch: „Reich sollten wir werden; dass sich Gott erbarm’, was wir hatten, haben wir verloren.“ Doch das soll mich nicht kümmern, habe ich nur meine Freiheit und kann dann immer bei Dir sein. Alles andere ist dann unwesentlich geworden. Aber frei wollen wir sein. – Nicht nur Bobby hat sich den Magen verkorkst. Auch ich leide darunter. Es ist also wieder mal etwas in unserer Ernährung schlechter geworden. Zumal auch die andern es in den letzten Tagen hatten. – 

Dir innige Sonntagsgrüsse und Küsse sendet Dein Dich über alles liebender Dondo. 

 

Käferthal, 1. November 1942.

Liebe Lisbeth!
Da ich nicht weiss ob ich nochmals Gelegenheit habe Dich vor meinem Wegkommen zu besuchen, so bin ich halt gezwungen Dir zu schreiben. Leider! Hätte alles viel lieber mündlich erledigt. Wie Du sicher weisst bin ich nach M’heim Käferthal versetzt worden. So ganz koscher kommt mir die Sache nicht vor. Es sind lauter Funker, Fernsprecher und Kraftfahrer aus allen möglichen Stäben, die da beisammen sind. Wir bekommen hier eine „Ausbildung“ als Infanteristen. Und das macht mich stutzig. Du musst wissen, dass überall jetzt die sog. Heimatflak aufgestellt wird. Sodann kommen an die Geschütze Russen als Muni-Kanoniere und in die Vermittlung Nachrichtenhelferinnen. Die Schuhmacher, Köche und Schneider sind aus den Stäben entfernt worden. Nun kalkuliere ich, dass aus uns, diesen überzähligen Leute, neue Infanterieregimente zusammengestellt werden. Verschiedene sagten, die Offiziere hätten von Luftwaffensturmbrigaden gesprochen. Das könnte nach meinen Betrachtungen stimmen. Auf jeden Fall bin ich der Ansicht, dass der Krieg für mich erst jetzt beginnt. Ich rechne stark, dass wir in 4-6 Wochen nach Russland kommen. Vielleicht bekomme ich vorher nochmals Urlaub in dem ich Dich aufsuchen könnte. Doch ist mir dies zu unsicher und der kluge Mann baut vor. Habe nun eine Bitte an Dich, die wohl in Deinen Kräften steht zu erfüllen. Da es mir ungewiss erscheint ob ich aus diesem Kriege heil zurück komme, habe ich zwei Briefe geschrieben. Und zwar an Tony und Elisabeth. Ich bitte Dich nun diese Briefe, die ich in beiliegendes Kuvert stecke, gut aufzubewahren und erst dann zu öffnen, wenn von mir drei bis 4 Monate nichts mehr zu hören war. Erst dann öffnest du das geschlossene Kuvert. Alles wissenswerte steht drauf. Dass Du davon weder den Eltern noch Tony etwas sagst ist selbstverständlich. Ich hätte ja auch die Briefe nach Hause schicken können. Doch dann würde sich Tony nur unnötig aufregen. Es ist ja auch nur eine Vorsichtsmassregel von mir. Denke schon, dass ich ohne Orden und Ehrenzeichen, aber mit gesunden Knochen zurück komme. Und dann hole ich mir meine Schreiben bei Dir ab. Willst du mir nun meinen Wunsch wortgetreu erfüllen? Nehme dies schon im voraus an und danke Dir recht herzlich dafür. Vergiss nicht, dass es mein Wille ist, dass niemand um das Schreiben weiss. Die Aufregung wäre zu gross. – Mir selbst geht es den Umständen gemäss gut. Hausen zu 60 Mann auf dem Dachboden der Scheinwerferkaserne. Weisst, einfach Stroh auf den Boden gelegt und fertig ist das Bett. Dass mir dies Lebe nicht schmeckt ist klar. Und ich wünsche als es nähme so oder so ein Ende. Habe den Salat satt bis zum Hals. Meine einzige Hoffnung ist, dass der Krieg nicht mehr so lange dauert als er gebraucht hat. Die Kräfte erlahmen auf beiden Seiten. Eben geht es m. E. nach um die Wurst. Hoffentlich gleitet uns das Ende nicht aus der Hand.

Dir und Deinen Lieben die besten Grüsse sendet Anton.

Meine Adresse: Hügel,
M’heim-Käferthal Ausbildungskommando
Scheinwerferkaserne Bau 5. 

 

1. November 1942.

Du mein innig geliebtes Frauchen!
Nach all dem was ich bis jetzt hörte drängt sich mir die Ansicht auf, dass erst jetzt der eigentliche Krieg beginnt. Und ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass ich aus diesem Kriege nicht mehr zurück kehre. Bist du mir böse weil ich Dir nichts davon sagte? Lass’ es gut sein. Ich will Dir das Herz nicht schwer machen. Es genügt voll auf wenn ich mich damit rum schleppe. Du hast den Kummer und die Sorgen danach lange genug. Und soweit es in meinen Kräften steht will ich Dir alles unangenehme fern halten. Ich habe Dich doch so lieb, dass ich es Dir garnicht sagen kann. Wenn ich dies auch nicht immer in Worte kleidete. Das liegt mir nun mal nicht. Trotzdem liebe ich Dich über alles. Und Du bist, ich will dies hier nochmals Dir sagen, die einzige Frau die ich besessen habe. Glaube aber ja nicht, dass ich nun der Meinung wäre etwas versäumt zu haben. Nein! Du hast mich ja so glücklich gemacht wie ein Mensch nur sein kann. Dass die Zeit kurz war, liegt an der Zeit. Dafür sind andere verantwortlich. Die, die diesen Krieg gewollt, und bewusst darauf hien gearbeitet haben. Das Einzige was mich sehr bedrückt ist, dass ich Dich in einer ungewissen Lage zurück lassen muss. Denn wer weiss ob Dir die Unterstützung später gezahlt wird. Und dann stehst Du vor dem Nichts. Deshalb bitte ich Dich, abgesehen von allem anderen, heirate so bald Du den passenden findest. Sieh vor allem, dass Du Dich gut mit ihm verstehst und Bobby einen guten Vater abgiebt. Alles andere soll Dich nicht kümmern. Kein Trauerjahr und nichts. Lass die Leute reden was sie wollen. Bobby erziehe zu einem tüchtigen, warmherzigen Menschenkind. Sieh vor darauf, dass sie rein in die Ehe kommt. Versuche die Erziehung so zu gestalten, dass sie in Dir die beste Freundin sieht und Du ihr vollstes Vertrauen hast. Erst dann darfst Du die Erziehung als geglückt ansehen. Schütze und bewahre sie vor jeder Uniform. Ich brauche Dir hier nicht nochmals auseinander zu setzen weshalb. Haben wir uns doch schon oft darüber unterhalten. Dies sind meine Bitten an Dich die Du mir erfüllen mögest. Jetzt bleibt mir nur noch übrig Dir für all Deine Liebe und Treue zu danken. Leider ist es mir nicht vergönnt worden Dir einen Teil meiner Dankesschuld abtragen zu können. Doch hoffe ich, dass Gott Dir alles an meiner Stelle vergilt. Ich selbst kann es nicht mehr. Die schönen Stunden die ich mit Dir verleben durfte werden mir bis an mein Ende vor Augen sein. Vor allem natürlich Rothenburg und Hohenstein. Wie schön, wie herrlich waren doch diese Stunden. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke fällt mir kein Tag ein an dem wir uns uneinig waren. Und das schönste an unserer Ehe war, dass ich Dich immer lieber gewann. Kann Dir nur noch sagen: „Hab’ Dank für die Stunden die ich bei Dir gefunden.“ Und nun gute Nacht Du mein einziges Lieb.

Es grüsst und küsst Dich innigst und hofft auf ein Wiedersehen im Jenseits Dein Dich über alles liebender Dondo. 

 

30. Januar 1943 [Postkarte aus Berlin]

Mein Lieb!
Kam gut in M. an. Die Fahrt verlief planmässig. War bis heute früh dort und bin auf dem Wege über Berlin nach Wien. Wenn es die Zeit irgend erlaubt, werde ich Fee besuchen. Das Endziel ist wie schon besprochen Ath. Kam weder gestern noch am Donnerstag zum schreiben. Muss mich erst wieder einleben. Hast Du Deine Tasche mit den Marken wieder erhalten und gut nach Hause gekommen? Hoffe es. Bin sehr in Sorge wegen der Lebensmittelmarken. Unsere Fahrt dauert wenn alles planmässig abrollt, 7 Tage. Eine lange Zeit. Hoffentlich kann mir Fee sagen, dass Du Deine Marken wieder bekommen hast.

Dir innige Grüsse + Küsse sendet Dondo.

Ein Busserl für Bobby.

Viele Grüsse an die Eltern. 

 

1. Februar 1943 [Postkarte aus Wien]

Mein Lieb!
Sind am Samstag von Bln. nach Wien gefahren. Waren am Sonntag hier und bleiben da bis Dienstag 13.45. Schlafe bei Fee. Frank gefällt mir sehr gut. Das Haus ist sehr schön und geräumig. Wien selbst gefällt mir auch. Nur die Entfernungen. Hast Du Deine Karten? Schreibe mir an die Feldpost No. Die Fahrt nach dort beträgt 7 Tage. Solange braucht auch ein Brief. Schreibe Dir von Athen den ersten Brief. Komme eben nicht dazu. 

Herzlichen Gruss + Kuss Dondo. 

 

I. Weihnachtstag 1943

Du mein Liebstes!
Will Dir heute, wie in dem gestrigen Brief versprochen, über die Bilder schreiben. Wie gross meine Freude daran ist, kannst Du Dir nicht vorstellen. Habe ich doch die lieben Gesichter meiner beiden Mädchen vor mir. Und ich bin froh, dass ich den Brief nicht vorher öffnete. Ist doch weder gestern noch heute Post gekommen. Wie oft habe ich heute die Bilder schon hervor geholt? Weisst, das neue Papier ist wirklich mehr als schlecht. Am besten sind die auf Chamois. Nehme also nun die einzelnen Bilder zur Hand und will über jedes einen kurzen Satz schreiben. Da ist zunächst das, das ich in Urlaub am Rhein unten knipste. Wo Du, Otto und Bobby auf dem Mäuerchen sitzen. Bobby hat den Drachen und die Mutti sieht nach dem Ring an der Hand. Otto sieht wie gewöhnlich weg. Warum eigentlich? Bobby schaut richtig gross und verständig drauf aus. Nur blass ist sie. – Eben fällt mir erst ein wo ich das eine Bildchen mit Bobby und Trudchen knipste. Das war ja vom Schlafzimmerfenster aus! Habe mich gestern und heute vergebens besonnen. Und nun als ich von dem Bild schreiben wollte, fiel es mir ein. Schade, dass die Kinder so klein drauf sind. Sonst ist das Bildchen gut. – Komisch, dass ich beim fotografiert werden immer das Gesicht so verziehe. Betrachte mal das Bild wo ich in kurzer Hose Bobby auf dem Arm habe. Bobby ist allerliebst getroffen und hat auch ein richtiges Filmgesicht. Ist in jeder Stellung hübsch. – Das Bild von mir im Taunus ist gut. Schade, dass Bobby weg sieht. – Bobby auf dem Geländer in Schönbusch ist gut und hat sie richtig dicke Backen. Leider ist die Aufnahme verwackelt. – Das Wiener Bild mit Fee’s Schw. Mutter u. Bobby mutet einem an wie ein Bild aus Grimm’s oder Andersons Märchen. Findest Du nicht auch? – Du und Bobby auf dem Rad bei der Fahrt nach Mespelbrunn ist schön. Davon sollte man eine Ausschnitt Vergrösserung machen. – Du und Bobby beim Ballspiel vor dem Schloss ist ganz gross. Schade, dass auch hier die Personen so klein drauf sind. – Eines der schönsten ist Bobby und Du im Gonsenheimer Wald. Wo daneben die beiden Räder stehen. – Du und Bobby auf dem Geländer im Park von Schönbusch ist reizend. Nur schade, dass es so verschwommen ist. Ob das am Papier liegt? – Dr. Kreusser und Bobby beim angeln ist gut. Da sieht man erst, welche grosse Zöpfe sie hat. – Nun kommt das beste Bild. Du und Bobby im Boot auf dem Main. Das ist herrlich. Ein schönere existiert von Dir und Bobby nicht. Das halte ich auch hier. – Das Bild mit Mama an den Rudern ist ganz gross. Meint man nicht man sähe Adele Sandrock? Fast der gleich Gesichtsausdruck. Schade, dass das dritte Bild von der Bootsfahrt nicht in die Mitte des Films kam. Es wäre auch wunderschön geworden. – Die beiden Bilder mit Bayer’s Töchterchen sind gut geworden. Und der, für den sie bestimmt waren, lebt nicht mehr. Ist gefallen. Welche ein Jammer kommt doch durch diesen Krieg über die Menschen! Und Glück sollte er, so erzählte man uns, bringen. Was für ein Hohn. – Ja, es ist schade, dass das Bild von mir und Bobby auf dem Radl verwackelt ist. Haben wir an dem Tag nicht auch dieselbe Aufnahme von Dir gemacht? – Wenn ich so den Brief lese und sehe was ich zu den einzelnen Bildern sage, so ist das mehr als dürftig. Aber schreib mal darüber. Da geht schlecht. So was bespricht man besser. Wo man auf jeden Ausdruck, jede Stellung und Bewegung hinweisen kann. Brieflich ist da wenig zu machen. Dazu müsste man über jedes Bild mindestens eine volle Seite schreiben. Und das geht doch nicht. Lasse mich Dir nur noch sagen, dass mir die Bilder eine unbändige Freude bereitet haben und mir sehr gut gefallen. – Nun will ich Dir noch kurz von dem Verlauf des gestrigen Abends und heutigen Tages schreiben. Dass wir sehr viel bekamen, schrieb ich Dir schon gestern. Eine Feierlichkeit, ja noch nicht mal ein bischen Stimmungsmässigen Verlauf des gestrigen Abends war bei der Meute nicht zu erzielen. Die kennen alle nur ein Gelaber und Lieder u.s.w. wie es wohl für einen Saufabend passt. Nicht aber für den Heiligabend. Probierte gestern Abend noch den Punsch, der miserabel war, und trank eine Flasche Wein. Danach legte ich mich ins Bett. Heute war keinerlei Dienst. Auch kein antreten. Schliefen bis 8 h, tranken Bohnenkaffee mit Zucker. Dann packte ich im Hinblick auf die Versetzung vier Päckchen für Dich. In einem ist eine Büchse ÖL. Im Zweiten ca. 1 ½ [Pfund] Tabak. Im dritten 500 Zigaretten und zwei Päckchen Tabak. Im vierten 100 Zigaretten, Feigen, ½ Tafel Schokolade, eine Tüte Bonbons und 1 kleines Päckchen Tabak. Will nun versuchen die Päckchen auf die Post zu bringen. Ist doch bis 5. Januar Päckchensperre. Doch hoffe ich, dass man uns im Hinblick auf unsere Versetzung, die Päckchen abnimmt. Wusste nicht wohin mit all den Sachen. Zumal es nun plötzlich heisst die Fahrzeuge bleiben in Paraskevi zurück. Habe nämlich so viel Gelump, dass ich gezwungen wäre einen grossen Teil weg zu werfen. – Heute Nachmittag las ich dann ein Heftchen von den dreien die Du mir schicktest. Und nun, 18.30 h, schreibe ich Dir. Danach werde ich wohl zu Bett gehen. Werde heute nichts mehr essen. Höchstens die zweite Flasche Wein trinken. Haben wir uns doch alle übergessen. Machten uns gestern Abend Bratkartoffeln die im Fett schwammen. Und soviel Fett sind wir alle nicht mehr gewöhnt. Jedem ist übel. Da werde ich heute Abend mal fasten. Das bekommt mir sicher am besten. – Morgen will ich dann mal nach Athen rein fahren. Ins Kino und auf die Akropolis gehen. Mal sehen wie es klappt. Kommt was dazwischen, dann schreibe ich an Dich und Lisbeth. Andernfalls komme ich sicher nicht zum schreiben. Und Lisbeth habe ich noch wegen der Bilder zu schreiben die mir Hilde schickte. 

Recht innige Grüsse und Küsse sendet Dein Dich von Herzen liebender Dondo. 

 

23.6.44 20h ¼.

Mein Liebster, Soeben kam ein Junge an. Alles normal, und in Ordnung mir geht es prima. Schreibe ¼ Std. nach der Geburt im Bett liegend. Werde ihn Johann-Otto (Hans-Otto) Peter taufen lassen.

Es grüsst Dich innigst Fraule. 

Er hat eine mordsmässige Stimme. 6 [Pfund] und 52 cm gross. Und schön glatt, wie damals Bobby. 

 

No. 149. Dienstag, 4. Juli 1944.  

Mein liebes, tapferes Frauchen!
Gestern Abend um 19.30 h bekam ich den Luftfeldpostbrief in dem Du mir die Geburt unseres Jungen schreibst. Die Freude zu schildern, die die Nachricht bei mir auslöste, dazu fehlen mir tatsächlich die Worte. Müsste mich zusammen nehmen, dass mir nicht das Wasser in die Augen kam vor lauter Freude. Und wie bewundere und staune über Dich, dass Du so kurz nach der Geburt schon an mich dachtest und zum Federhalter griffest um mir zu schreiben. Wie dankbar bin ich Dir, dass Du mir nun schon wieder ein Kind geschenkt hast. Nun haben wir also ein Pärchen. Ist das eine Freude! Und der Junge ist uns genau so willkommen wie Elisabeth. Was sagt denn Bobby zu dem Brüderchen? Kommt sie sich als ganz erwachsen vor? Was war ihre erste Rede als sie an Hand von Tante Lotte Dich besuchte? Denn Lotte hat sie doch sicher zu Dir geführt. Wenn ich doch jetzt nach Hause könnte! Möchte so gerne mal unseren Jungen sehen. Sei nur so gut und fotografiere ihn fleissig, damit ich ihn auch ganz klein sehe. Wie habe ich gelacht über den Satz: „er hat eine mordsmässige Stimme.“ Gut, dann hat er auch eine gesunde Lunge. Er war aber sehr unverschämt,  dass er sich bei Dir so rausgefressen hat. Sechs Pfund zu wiegen bei Deiner Figur ist eine Rücksichtslosigkeit. Die werden wir ihm schon abgewöhnen. Wir wollen ihn zu einem braven, tüchtigen Menschen erziehen. Möge Gott unsere Arbeit segnen, dass uns dies gelingt. Was wir tun können, wollen wir tun. Keine Arbeit will uns zuviel sein. Mit Deiner Namensgebung bin ich voll und ganz einverstanden. Wundere mich nur, dass trotz seines grossen Gewichts als glatt ging. Hast Du mir das nur geschrieben um mich zu beruhigen? Hat die Geburt lange gedauert oder war sie kürzer als bei Bobby? Wie geht es Dir? Bist Du wieder ganz gesund und schon zu Hause? Nun musst Du erst recht gut essen um den Kräfteverlust wieder wett zu machen! Und ich bitte Dich innigst, Deine gesammten Vorräte aufzuessen und nichts für meinen Urlaub aufzusparen. Wenn ich Mittags und Abend Kartoffeln habe mit etwas Obst, bin ich mehr als zufrieden. Also hebe ja nichts auf. Und noch eine Bitte habe ich an Dich. Sei so gut und sieh zu ob Du für den Jungen die gleiche Ernährung bekommen kannst wie für Bobby. Hat dieselbe unserem Mädchen eine so grosse Widerstandskraft gegeben. Ich denke da an Kalk, Buttermilch und Vigantol. Sicher, es wird viel schwerer sein als 1939, aber vielleicht gibt es doch eine Möglichkeit. Für das Kilogramm guten Zigarettentabak kannst Du sicher allerlei bekommen. Sieh also mal zu was sich machen lässt. Deinen Brief schicke ich wieder zurück mit der Bitte ihn mir gut auf zu heben. Denn er hat mich in einen solchen Freudentaumel gebracht, dass ich ihn auch noch später sehen will. Was sagt Otto, Vater und Mutter Hügel dazu? Sind sie zufrieden. Wie es auch sei, ich bin es! Mehr noch, ich bin restlos glücklich. Den einzigen Wunsch den ich jetzt noch habe ist, dass der Krieg bald rum ist. Bin mal gespannt was Mama schreibt. Heute Abend will ich auf der Stube einen kleinen Trunk geben aus Anlass der Geburt unseres Jungen. Bin ja so glücklich und stolz. Oder darf ich das nicht sein? 

Herzinnigste Grüsse und Küsse und heissesten Dank schickt Dir Dein Dich von Herzen liebender Dondo. 

 

Montag, 10. Juli 1944 

Liebe Schwester!
Will Dir heute mal wieder ein paar Zeilen schreiben. Viel werden es nicht werden. Ist es doch schon 21 h und habe eine schlaflose Nacht hinter und morgen vor mir. Da muss ich jede Stunde ausnutzen. Sind immer noch in diesem griechischen Negerdorf, achthundert Meter hoch. Da ist es nicht so heiss wie in Athen. Doch dafür gibt es Wanzen und Flöhe in ungezählten Mengen. Der Körper ist von oben bis unten zerbissen. Ja, den blauen Himmel Griechenlands zu sehen, hat seine Nachteile. Wünschen alle, dass wir hier raus kämen. Müssen halt Geduld haben. Und der Krieg wird ja bald ein Ende haben. – Geo ist in Hunsrück wie mir die Eltern schrieben. Da habt Ihr ja die Möglichkeit Euch ab und zu zu sehen. Wie ich Euch darum beneide! – Wie Du ja schon längst weisst, habe ich seit dem 23.6. einen Jungen. Bin ja so froh, dass alles gut vorüber ist. Habe manche schlaflose Nacht hinter mir. Nun ist alles gut. – Habe jetzt noch eine Bitte an Dich. Ob ich aus dem Kriege heil heraus komme, kann kein Mensch sagen. Habe deshalb an meinen Jungen ein paar Zeilen geschrieben und bitte Dich, diesen Brief aufzuheben. Komme ich gesund zurück, hole ich ihn mir bei Dir unbeschädigt ab. Andernfalls gibst Du ihn an Tony. Er soll dem Jungen mit 16 Jahren gegeben werden. Tony will ich ihn jetzt nicht geben, sonst regt sie sich unnötig auf. Hoffentlich belästige ich Dich nicht über Gebühr damit. Bestätige mir bitte den Empfang und behalte die Tatsache für Dich allein. 

Herzliche Grüsse Dir und den lieben Deinen Dein Bruder Anton.

 

Willia, 10. Juli 1944

Mein Junge!
Heute sind es siebzehn Tage, dass Du auf der Welt bist. Ich aber war bei Deiner Geburt nicht zu Hause. Konnte Deiner lieben Mutter in nichts beistehen. Es ist ja Krieg! Schon fast fünf volle Jahre dauert er. Und sein Ende können wir heute noch nicht absehen. Wenn auch vieles dafür spricht, dass der Höhepunkt längst überschritten ist so stehen doch noch gewaltige Ereignisse uns zuvor. Ob wir alle sie gut überstehen, ist eine Frage. Die Lage ist so, dass wir täglich zum Einsatz an irgend eine Front kommen können. Und wer will da die Garantie übernehmen, dass ich heil daraus hervor gehe. Kann also in dem Fall dann nicht mehr in Deine Erziehung eingreifen. Kann Dir nicht mehr meine Wünsche und Ratschläge mündlich geben. Deshalb bringe ich sie heute zu Papier und Du kannst mir glauben, dass mich nur die Liebe zu Dir zu diesem Briefschreiben bewegt. Denn wenn ich Dich auch noch nicht sah, lieb hab’ ich Dich von ganzem Herzen. Und ich habe nur den Wunsch, dass es Dir in Deinem Leben besser gehen möge als mir. Dass Dir mal die Trennung von Deiner Familie, die Du mal gründest, erspart bleibt. Nach meinem Willen erreicht Dich dieser Brief an Deinem sechszehnten Geburtstage. Das ist für das, was ich Dir zu sagen habe, reichlich früh. Und es wird Dir vielleicht noch manches unverständlich sein. Doch das muss ich mit in Kauf nehmen. ’S ist halt eine Notlösung. Was bleibt mir aber sonst übrig? – Bekommst Du also diesen Brief, dann stehst Du vor der Berufswahl. Du hast die Wahl des Weges nach oben oder unten. Nach Herr oder Knecht. Nach Freiheit oder Unfreiheit. Und besonders die Freiheit, das menschenwürdige Leben, ist alle Arbeit und alle Entbehrungen wert. Will Dir mal schildern wie ich mir Deinen Weg gedacht habe. Höhere Schulbildung, Lehrzeit bei irgend einem grossen Unternehmen. Sei es im Schiffahrtsbetrieb oder der Chemischen Industrie. Während Deiner Lehrzeit eifriges Studium von Fremdsprachen. Hast Du Deine Lehrzeit beendet, dann sehe zu, dass Du aus Deutschland raus kommen kannst. Erwirb Dir wo anders die Staatsangehörigkeit. Soweit man nämlich alles übersehen kann, dürfte es um die Freiheit in Deutschland nach dem Kriege nicht rosig bestellt sein. Und ständig unter Kontrolle zu leben, nicht tun und lassen zu können was man will, dies und das verschweigen zu müssen, in den oder jenen Verein beitreten zu müssen, vor jedem Uniformträger einen höflichen Knicks zu machen, ist schrecklich. Drum lieber weg. Baue Dir wo anders ein neues, lebenswertes, freies Leben auf. Bist Du ein ganzer Kerl, dann wird es Dir, wenn auch nach Schwierigkeiten gelingen und Du wirst glücklich werden. Denn wie gesagt, die Freiheit ist jedes Opfer wert. Nun noch etwas anderes. Unterstütze Deine liebe Mutter und Schwester nach besten Kräften. Sei höflich und nett zu Ihnen. Nur halbstarke Menschen spielen sich robust bei Frauen auf. Achte jede Frau, jedes Mädchen. Bedenke, auch Deine Mutter ist ein Mädchen gewesen. Glaube mir, die Liebe zu einer Frau wiegt schwerer als das schmetterlinghafte Eintagslieben. Gib Dich einer Frau ganz, und sie wird sich Dir ganz geben. Welches Glück, welche Seligkeit und innere Zufriedenheit das ist, kannst Du erst später begreifen. Was sind das arme Tröpfe die ständig von Weibern reden. Welche armseligen Kreaturen. Man könnte um sie weinen. Doch verdienen sie eine solche anteilnahme garnicht. Halte Dich fern von der Sorte Menschen. Und missbrauche das Wort „Freund“ nicht. Die wahren Freunde sind selten. Wohl Dir, darfst Du einen Menschen wahrhaft Freund nennen. Hast Du ihn gefunden, dann lass’ die Mensch reden was sie wollen. Lasse Dich durch nichts abhalten zu ihm zu halten. Bleibe der Religion zu der Du gebracht wurdest, treu. Glaube nicht den Redereien der „Volksredner“. Es gibt nichts, das sich nicht anders rum verteidigen liesse. Und Theologe bist Du nicht. Die hl. Schrift muss richtig ausgelegt werden. Mit Schlagworten, lächerlich machen, Sarkasmus und Spöttelei ist es nicht getan. Bleibe unser Religion treu, selbst wenn Du Nachteile davon hast. Das Leben ist zu kurz. Und was liegt an dem Urteil einiger Menschen? Lasse die Hohlköpfe reden was sie wollen. Was liegt daran? Die Hauptsache, wenn Du vor Dir selbst bestehst. Was die anderen von Dir denken ist unwesentlich. 

Damit will ich den Schluss machen. Hätte Dir ja noch so viel zu sagen, doch kann man nicht alles zu Papier bringen. 

Die heissesten Wünsche auf Deinem Lebensweg
und viele innige Grüsse sendet Dir
Dein Vater

 

O.U. am 26.9.44

Sehr geehrte Frau Hügel!
Da ich ein Freund von Anton war, u. selbst den Überfall von den Banden mitgemacht habe, will ich ihnen mein herzlichstes Beileid aussprechen. Ich weiss nun nicht ob die Batterie ihnen näheres geschildert hat oder nicht. Glauben sie mir, ich denke so ungern an diesen Tag zurück dass ich am liebsten kein Wort von diesen Stunden berichten bräuchte, es sei aber das Sie von der Batterie auch nichts näheres erfahren haben, u. interessieren wie und wo alles war werde ich ihnen zur Seite stehen u. ihn nun an dem Brief näheres schildern. Geehrte Frau Hügel! Es waren 5 Kumpel die von uns gingen, aber alle zusammen hatten einen sehr schnellen Tod, gelitten hat an Schmerzen keiner viel. An dem drauffolgenden Tag sind alle in Theben begraben worden, es war ein sehr schöner Heldenfriedhof, die Batterie hat sich auch angestrengt und getan was in ihren Kräften stand. Sogar [unleserlich] von unserer Ortschaft wo wir lagen brachten Blumen Kränze u.s.w. Geehrte Frau Hügel! Ich weiß von Anton her zu genau was sie für schönes familiäres Leben geführt haben, was sie verloren haben, kann ihnen keiner ersetzen. Ich weiß noch zu genau wo die Bilder von ihnen der Tochter u. Sohn angekommen sind, Nachts 1000 und hatten gerade Wache, freudestrahlend beguckten wir alles, dann kam doch jedem die Frage auf ob wir das Glück haben die Familie noch einmal zu sehen? Anton sah sich die Bilder so oft u. so gern an als wollte er sich satt sehen weil, als ahnte er, das nicht aus dem verfluchten Krieg und heim kommen zu denken wahr. Geehrte Frau Hügel! Wir sind nun jetzt in Bulgarien mit eingesetzt, keiner weiß was noch kommen wird, es sind nun 14 Tage her jeder ist [unleserlich] aufgeregt keinem geht die Arbeit von der Hand, ich hoffe aber das der Brief bei Ihnen mit Anklang findet u. ihnen ein wenig trösten hilft. Ich selbst schrieb meiner Frau von diesem Vorkommniss nichts, aber sie wird es bestimmt aus den Briefen merken, das etwas nicht ganz in Ordnung war. [unleserlich] Anton sein bester Freund war Hermann [unleserlich] dieser ist schwer verwundet, na ich hoffe aber das er auf dem besten Weg zur Genesung geht. Geehrte Frau Hügel! Ich selbst habe von Anton außer seiner Pistole, Trauring u. Brieftasche seine folgenden Zivilsachen zusammen gesucht u. auf Schreibstube abgegeben die [unleserlich] sie erhielten das wenigstens.

Geehrte Frau Hügel! Seit einer Stunde suche ich den Zettel wo ich alles aufschrieb ich finde ihn nicht, sollte er mir wieder in die Finger kommen werde ich alles noch mal aufführen, na ich denke aber das sich keiner an solchen Sachen vergreift u. etwas sich angeeignet hat. Ich will nun schließen der Dienst geht weiter. Ich wünsche Ihnen dem Mädchen u. dem kleinen Bub alles denkbar Gute.

Es grüßt Sie herzlich
Werner Böttger