Die Feldpost des Heiner Adam

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Mein Vater hat aus Stalingrad 10 Briefe geschrieben, von denen 9 ankamen. Er fragt sich, warum sitzt er in diesem Schlamassel und kommt zu dem Schluss: Wir sind hier, um dem heidnischen Russland Christus zu bringen. Ausgerechnet Hitler und ausgerechnet dem russischen Volk, bei dem sich nach dem Scheitern des Kommunismus, die Orthodoxie wieder zeigte. Putin weiß, auf wen er sich stützen kann. Auf der Suche nach den Sütterlinoriginalen stieß ich auf die 9 Briefe fein säuberlich abgetippt. Außerdem schrieb er auch für die Hausmitteilungen der Kaffeessenzfabrik Pfeifer u. Diller in Worms-Horchheim: 

14. November 1942

Grüß Gott – für den Rundbrief Nr.66 mit Inhalt herzlichen Dank. Nun sind wir, bis diese Zeilen Sie erreichen, wieder in einem Stadium, wo - die Kälte fühlbar durch den Übermantel dringt und die anhänglichsten Freunde des letzten Winters wieder ihre Spähtrupps von der linken Achselhöhle quer über die „gewölbte“ Brust zum Bäuchlein bzw. zur rechten Achselhöhle losjagen - die lieben winzigen Läuslein. Ich habe heuer eine frische Sorte entdeckt, die auf dem Panzer eine schöne für den Feind (ich) schwererkennbare Tarnfarbe haben. Trotzdem werden sie geknackt. – Was wäre auch so ein Winter ohne diesen lieben Anhängsel. Na alla, auch dies wird vorübergehen. Auf alle Fälle wird mit den erdenkbarsten Mitteln gegen diesen Feind angegangen. - Unsere Bunker sind nun recht wohnlich geworden. Meine Frau schickte mir Küchenschrankspitzen, so wie diese noch unsere Eltern im Gebrauch hatten, Papiertischdecken- u. Servietten, Wechselrahmen und gute und schöne Bilder, so dass es bei uns nach dem Dienst aussieht wie „ in de gud Stubb“. -  Ich liege immer noch am Don. Wir werden auch sicherlich hier überwintern. Unsere Stellungen sind nun sicher und gut ausgebaut. Stalingrad wird wohl vor der größeren Kälte fallen und nach der größten Kälte wird es dann hier so sein, dass wir ein Glied einer großen Zange sein werden - und der Herrgott geb die Hilfe, dass wir im kommenden Frühjahr und Sommer dann dem Russen den wirklich letzten Rest geben können. - Bis dahin gilt es halt - trotz aller Härte, die ein Winter - der zweite Winter nun - mit sich bringt, Geist und Haltung so einzustellen, wie zur Stunde des s.ztgen. Einmarsches im Juni 1941. 

Frischbleiben und weich werden, gilt für uns, wie für die Heimat nicht. Und aus allem, den Opfern und was so ein Feldzug mit sich bringt, kann man ja immer für sich das Beste, eine Lehre, eine Verpflichtung ziehen, die, wie wir ja beim Barras sagen, den inneren Schweinehund nicht aufkommen lassen. - Noch Tage, und wir stehen mitten in einer Zeit im Jahresablauf - Advent - . Sehnen und Staunen, Ahnen und Hoffen erfüllt auch in harter Zeit den Menschen, vielleicht in der jetzigen Lage erst ganz. Und dieser Heilsgedanke, der in dem Weihnachtsfest die Herzen der Menschen in jeglicher Lage schneller schlagen lässt, ist es, was den Soldaten an der Front erst so recht schätzen lernt - die Heimat. Wenn auch der Soldat nicht weich werden darf, dann ist´s aber der Gedanke, die Liebe zur Heimat, die ihn wieder so recht schlicht auf die Bereitschaft, seine Bereitschaft dem Vaterland gegenüber aufmerksam macht - und dann wird ihm und dem Vaterland eine Erlösung - nämlich einem gerechten Frieden, das schönste geschenkt nach harten Tagen und Jahren. 

Hoffen und wünschen wir, dass der unsichtbare Zeiger über den Waagschalen von Leben und Tod oft und oft nach der Seite des Lebens ausschlage; dann begreifen wir als Heilsgeschenk gleichsam das Wunder der Erlösung, den Sieg des Lichts über die Todesnacht, wie es Weihnachten und sein mystischer Lichterbaum als Symbol des Geistig-Ewigen bedeuten. Diese Gedanken möchte ich Ihnen allen als vorweihnachtliche Gabe schenken im Gedenken von Front zur Heimat. Einmal wird wieder Friede sein - Das Fest jedoch kann uns allen, die guten Willens sind, trotz allem den Herzensfrieden nicht rauben, sondern aufs Neue schenken. - So wünsche ich allen Dillerianern eine gesegnete Weihnacht - und einen lauteren Frieden des Herzens, der über alle Opfer und Kommendem hinweg stark macht. - Ihr Heiner Adam

Briefe aus dem Kessel von Stalingrad von Heiner Adam

3.12.1942

Liebste Trude. Ich beginne diese Reihe Post mit deutschen Zahlen (!) und zwar mit Nr.1, weil ich von den beiden keinen Vermerk machen konnte. Sanders Franz wird wohl inzwischen bei Dir gewesen sein und Dir von Dingen erzählt haben, die sich längst geändert, ob zu großen Gunsten oder Ungunsten, davon werde ich Dir schreiben. Aus dem Wehrmachtsbericht wirst Du wohl von den heftigen Angriffen des Russen am Don gehört haben und auch von de heldenhaften Abwehr der deutsch/rumänischen Truppen. Sei Du ganz im Gebet mit und bei mir, wie ich es so in der Kälte physisch geht im Gebet bei Dir bin. Mein Gottvertrauen ist ja 100%, wie das tägl. Erleben trotz der größten Scheiße mich tägl. Immer wieder überzeugt. Auf meiner gegenwärtigen Reise hin und her, trage ich unsere Bilder mit, darunter auch die Kapelle von Schönstatt und dort finde ich den größten Schutz und eine Hilfe, die man schlechthin wunderbar bezeichnen kann. Auch in der Härte bewährte sich meine innere Haltung, die in ihrer Liebe des Opferns und Handelns immer noch von der alten Liebe durchdrungen ist. Alles bewährt sich ja erst im Unangenehmen bzw. Harten. Mein peratus sum - ich bin bereit, soll auch in diesen harten, kalten Wintertagen in derselben Festigkeit in mir haften bleiben, wie in ruhigen Tagen. - Ich weiß nicht, wann ich Post von Dir erhalten werde, denn die Transportlage zwingt zu harten Maßnahmen, die aber von der Heimat zur Front und umgekehrt eben getragen werden müssen, da ja das Vaterland und dessen Belange und Notwendigkeiten z.Zt. unbedingt das Primäre sein müssen. 

Und Du bist von mir etwas lange Zeit ohne Nachricht, dann keine Sorgen machen, sondern umsomehr beten, dann treffen wir uns seelisch und das ist wichtig. Ich schrieb Dir letztes Jahr zu Weihnachten - und wiederum kann ich Dir und unseren Buben einen Weihnachtsgruß senden. Zwar ists in diesem ein Gruß, der mir noch tiefer das Fronterleben zeigt als je in meiner Soldatenzeit - und vielleicht gerade deshalb will ich dem Christkind umso näher bleiben. Noch ist nicht der Frieden - noch muss die Menschheit durch tausend Teufel hindurch, sich läutern. Aber aus all diesem harten Geschehen wird uns allen der Frieden werden. - Ich kann nur Dir schreiben - grüße mit meinen Weihnachtsgrüßen … Soweit wollen wir gemeinsam all unseren Weg gehen, auf dass uns die Betlehemnacht eine Seelennacht ureigenster Art werde, die in den Opfern und dem Erleben dieser Tage, im wirklichen Erleben des Christgeschehens die wahre Heimat finden. All das Erleben haben mich zum Mann gemacht, der später fest, fest an seine Familie und sein Heim gekettet sein wird mit Banden, die Dich und mich in einer Liebe vereinigen werden. Trude bleibe weiterhin tapfer, sei den Buben eine frohe Mama und sei Deinen Mitmenschen eine tapfere Soldatenfrau. Nur so kann ich beruhigt über die kalten Dezembertage hinwegstürmen. Friede - im Inneren, für den großen Frieden kämpfen wir schon tapfer und treu. Grüße alle! Dir, Liebste und den Buben - wie freue ich mich mal auf die Post! - herzhaften Kuss, immer Dein H.

8.12.1942

Liebste Trude - so fliegt nun das 2. Brieflein übern Don zu Dir, um Dir zu sagen, dass ich Dich ach so gern habe - ach was, diese Wörtlein reichen reichen gar nicht aus, denn in diesen schlimmen Kampfestagen, in den Erdlöchern inmitten von Eis und Schnee waren und sind meine Gedanken die meisten Stunden von Tag und Nacht ganz bei Dir und wie sinne ich und male fast unser Friedensleben aus, so der Herrgott uns die glückliche Heimkehr erlaubt. Beim Abendgebet kommen mir Worte in den Mund, die fast nicht zu dieser Lebensweise und diesem Höllenkonzert passen, wie - Herr ich empfehle Dir alle Kameraden in diesem Abschnitt Deiner ganz besonderen Huld - und ganz schlicht bitte ich Dich, großer Gott, der Du uns Menschen eine Schönheit und Zufriedenheit verschaffen kannst, die wir Menschen ach so oft übergehen, aber auch in dieser gegenwärtigen Lage einen Hass und eine Hölle auf Erden zeigen kannst, dass Du mich auch für meine Kleine und die Buben gut und heil herausführen mögest. Gewiss Herrgott, in dieser Lage ist das Bitten an erster Stelle, doch im Bitten zeigt es sich ja, dass Du großer Gott der Einzige bist, der das Geschick unseres Vaterlandes als für uns alle gnädig und sieghaft leiten kannst. Amen. - So gehen die Gedanken. - Bleibe Du im Gebet ebenfalls ganz bei mir und uns - dann wird alles gut werden. Überhaupt ist man ja so glücklich, wenn man noch bei dem Konzert seinen gesunden Menschenverstand hat. 

Verzichten kann man auf so vieles. Ich habe noch meine 3 Decken und des Necessaire mit Handtuch, 1 Paar Socken - alles andere habe ich auf den großen Scheiterhaufen getan - aber es geht auch so. Du bereite folgendes vor: 2 kleine Schuhbürsten, dann eine kleine Nähzeugausstattung und Briefpapier mit Umschlägen. An Wäsche schicke noch nichts, bis ich Dir mal Wünsche bekanntgeben kann. Gedanken machen ist Unsinn, bleibe wie ich stark in Gedanken, dass unser aller Geschick im Herrn liegt. Vielleicht sind es nur noch Tage und der Russe ist in einer Abwehrschlacht geschlagen, wie er zuvor nicht ahnen konnte. - Mir persönlich geht es so: An meiner Kehle machte sich ein Knippel breit. Der Arzt sagte `Drüsen`. Erst sollte ich auf dem Hauptverbandsplatz geschnitten werden, dann machte er es doch selbst. Mein Herz ist ebenfalls nicht in Ordnung - dann meine übergroße Magerkeit - dies alles kann aber erst dann fachmännisch untersucht werden wenn die Lage hier geklärt ist und wir aus dieser Hölle raus sind. Ich stehe noch meinen Mann - aber ich bin fix und fertig, die Strapazen drücken einen doch zu Boden. Meine Halsgeschichte wird dann auch in gelinde Bahnen kommen - vorerst gilt es auszuhalten und eisern zu stehen. Mein Funkuffz. Ist gefallen und auch der Oblt., dem ich das Paket und die Heiratspapiere s. Zt. Mitnahm - der Krieg ist halt hart. - Im letzten Brief vergaß ich St. Beim Grußbestellen, ich hole es nach - ebenfalls an die H. und W. Bestelle mir die Grüße. Dir Kleine und den Buben einen innigen Gruß und Kuss. Grüße alle! Immer Dein! Dein Heiner

15.12.1942

Liebste Trude - nun flattert schon das dritte Brieflein hinaus zu Dir. Drei Adventssonntage sind bereits hinter uns - 3 Sonntage, die eine Zeit einschließen, die alle Kameraden so voller Hoffnung auf baldige günstige Änderung der Operation blicken lässt. So recht Sehnsucht und Hoffnung und siehe mit dem neuen Licht kommen so lichte Nachrichten von vorn und hinten, der große Entsatz naht mit Erfolg und Tag für Tag kommt die Situation näher, wo wir wieder normalen Zeiten entgegensehen und wo der Russe im Winter eine Abwehrschlacht geliefert bekam, die ihn jetzt doch an der Lebensader getroffen haben sollte. Und wie sind gerade die letzten vier Wochen für mich Einkehrtage gewesen. Wie steht in solchen anhaltenden Situationen das ganze er- und gelebte Leben vor einem, wie kommen Bilder - schlechte und gute - so echt eine Generalgewissenserforschung - und sie hat ihr Gutes, denn wenn man so recht klein wird, wenn man so recht sieht, wie ganz klein und am Fädchen das bisschen Leben hängt, dann sind die Ewigkeitsgedanken die nächsten und der Mensch selbst so hart, so kalt - und handelt verbissen, und wenn noch so viele und noch so große äußere Umstände erdrückend wirken. - Wie wird daher, wenn der Herrgott mir ein gnädiger Herr ist, unser Friedensleben - auch ein Friedensleben werden, das nur und nur aus den Quellen unseres Glaubens schöpfen wird. So macht jeder Mensch seine Lehrzeit durch, obwohl er oftmals glaubt, dass er `fertig` gewesen wäre. 

Ach wie lernte ich in diesen harten Tagen mich kennen und wie will ich der Mensch werden, der mir jetzt erst als das Ideal erscheint. Ein ganzer Kerl. - Ja, liebe Trude, so stöhne ich Dir etwas vor, doch schaue wieder so zuversichtlich in die Welt, in die Gegenwart, ich tue es ebenfalls, und dann besteht zurecht, den Mutigen gehört dir Welt. - Und Kleines - unser Häuschen wird mal ein Nest. Ich kenne nur noch eine Sehnsucht in all der Kälte - das Heim muss ein Heim werden - unser Heim - ich lerne es schätzen, die gegenwärtige Lage ist so recht gesch affen dafür. Gesundheitlich kann ich nichts Besseres berichten - habe aber die bestimmte Hoffnung, dass der Herrgott mich auch hier mit einem Maß misst, das ich tragen kann - und Kreuzträger sind wir ja alle. Sobald wir wieder in normaler Lage sind, werde ich mich einem Spezialarzt vorstellen - ich hoffe aber auch, dass mich ein einigermaßen normales Leben wieder auf die rechten Füße stellen wird. - Wie freue ich mich auf einen Brief von Dir, wo ich von Dir - Liebste - und unseren Buben lesen kann. Doch bis dahin wollen wir beten und hoffen, dass der Herrgott uns den Sieg verleihe in dieser Lage. - Ich bin nur froh, wenn Du über die Weihnachtstage diese wenige Post erhältst, dann weißt Du von mir und bist ganz bei mir. Unser Gerhard wird dieses Jahr so recht den Weihnachtsbaum bestaunen können - und der Jürgen wird wohl vernünftiger sein und wohl schon ein wenig von der Weihnacht begreifen. Wie sollen mal diese Tage - unsere Familientage werden. (Grüße alle zuhaus.) Und allen ein frohes Neujahr. Dir und den Buben festen Kuss und innigen Wunsch auf ein glückliches gesegnetes Neujahr. Dein Heiner.

19.12.1942

Liebste Trude - während ich Dir diesen Brief schreibe ist die Hölle los - es heißt, dass die Unseren von außen zum letzten entscheidenden Angriff angetreten sind, um diese dumme Sache an der Stalingradfront zu bereinigen - und zur selben Zeit kommt der Befehl durch, dass auch wir hier drinnen wieder im alten Umfange Post schreiben dürfen, mithin hat ein gütiger Gott diese Misere wahrscheinlich zum Guten gewendet und wir werden wohl unter großen Opfern doch die Absicht des Russen zuschanden gemacht haben. Trotz allem kann man vom und über den Russen die Überschrift setzen: „Das große Geheimnis“. Denn zu oft schon schien es, dass er auf dem letzten Loch pfeife. Zuversichtlich schauen wir den nächsten Tagen entgegen, es muss ja schließlich nach einem Regentag wieder ein Sonnentag folgen. Wie lange es nun dauert, bis ich von Deiner Post etwas sehen werde, - ist ja auch gleich. Unser Zahlmeister, der bei dem Tumult nach außen gedrängt wurde, wird mit seinem Kommando unsere Post hoffentlich aufbewahren, so dass dann die Freude groß wäre. - Wenn einmal diese Situation vorüber sein wird, werde ich Papa mal einen ausführlichen Bericht über die Zeit vom Monat November und Dezember geben. 

Diese Kriegstage waren auf alle Fälle die schlimmsten meiner Soldatenzeit - ein Kinderspiel dagegen meine B-Stellenzeit und mein dreitägiges Eingeschlossensein und noch unser 7tägiges Eingeriegeltsein in Krasnograd im letzten Jahr. Aber ‚alles geht vorüber, alles geht vorbei…‘ In 8 Tagen sind wir schon mitten in den Weihnachtstagen drinnen - und eben noch erzählten wir von der künftigen Möglichkeit, wenn wir wieder als Zivilisten in die Christmette gehen können und dann zum ersten Male im Frieden wieder singen dürfen: ‚Heiligste Nacht, Engel verkünden den Menschen den Frieden, Frieden auf Erden…‘. Eigenartig werden alle dann berührt werden von einem Ewigkeitshauch, der den Menschen zutiefst dann einen Seelen- und Herzensfrieden erleben lassen wird. O, wie sind in diesen harten Wochen Hochmut, Eitelkeit, Stolz, Hass, Neid und Hader zusammengeschmolzen in ein echtes, hilfsbereites Kameradsein. Und wie ist in jedem eine Stille eingekehrt, ein Selbstbesinnen. Der stört gleichsam, welcher zuviel schnabbelt - jeder braucht die Herzensminuten, die ihn Bilder von dem Liebsten, von der Heimat erleben lassen - und nur das Saußen und Surren der in der Nähe einschlagenden Granaten, das Brummen und Geknatter der Bordkanonen der fdl. Flieger lassen ihn in der Gegenwart in der Pflicht bleiben. 

Wir sitzen z.B. zu 31 Mann in unserem Loch und trotz Kälte, trotz beißendem Rauch erklingen dann erst recht zum Trotz und allen Gewalten die alten Lieder vom Mühlengrund in der Heimat, von den Liebenden, die sich nicht finden konnten, von der Schönheit des Waldes, der Wiesen und Felder. Und dann kein Erzählen aus der Jugendzeit auf - und dann erklingt ein herzliches Lachen durch den Raum - und dann zieht einer nach dem anderen die Decke über den Kopf und nur das Kommen und Gehen er Wachen mahnt, dass wirklich Gefahr ist und Sicherheit not. - Ja und in meinen Gedanken und Träumen war und bin ich in diesen harten Wochen ganz bei Dir und den Buben. Wie entstehen Bilder aus und zu unserer Gemeinsamkeit und wie wird im Frieden einst unsere Gemeinschaft, Gemeinschaft sein. - Trudchen ich verlasse mich auf Dich, dass Du meine Weihnachtsgrüße an die angegebenen Namen bestellt hast, da ich ja persönlich nicht soviel Post damals schreiben durfte. Bereite vor mir zu schicken: Schuhputzgarnitur, Löffel, Frühstücksbrettchen, eine Dose aus Kunstmasse, in die ich mir Marmelade tun kann, meine Butterdose habe ich gerettet, Briefpapier und Umschläge. Das ist mal das Dringlichste und wird mit Hilfe Deiner Angehörigen auch heute noch aufzuspüren sein. Und so schließe ich: ‚ … schenke Frieden Herr, den Menschen, auf dass es glückliche Menschen gebe‘. Grüße alle! Dir und den Buben festen Kuss. Dein Heiner

20.12.1942

Meine liebe Trude - nun ist heute ‚goldener Sonntag‘, golden sind hier nur die Sonnenstrahlen., die Eis und Schnee glitzern machen - und es wäre schön auch in diese Landschaft zu gucken und - es ist hier aber zu ernst, als dass man romantisch sein könnte. Alles, alles mahnt hierorts an einen ‚Ernst‘, den man mit den letzten Dingen vergleichen könnte, die etwa Dante in Worten schildert oder Leonardo oder Michelangelo in Farben für unsere Augen festhielten. Doch alles liegt in der Hand des Herrgotts, ob es glückliche, traurige oder zu schlimme Stunden sind. Eines lernt der Mensch aber bestimmt, nämlich demütig, fast ganz klein den großen Gott bitten, dass der Mensch wenigstens nicht unter den Kreuz zusammenbreche, sondern dass er dieses Kreuz trage, trage trotz Müdigkeit, trotz Wunden, trotz Lebenshunger. Es ist diese gegenwärtige Zeit eine harte Lebenszeit mit einer Schulung, die Wunden schlägt, die lange, lange brauchen werden, bis sie wieder heilen, bis die seelischen Zustände wieder im Gleichgewicht schlagen. Wie wundere ich selbst mich, denn mein großes Maul ist ach so klein, ja und wie schwer kann es in solcher Gegenwart sein, diesen wahren, echten Idealismus sich zu erhalten, und eine Gläubigkeit sich zu erhalten, die Tatsache ein credo - ein vorbehaltloses ‚ich glaube‘ sind und nicht bedeuten. Wie werde ich glücklich sein, wenn die Tage wieder da sein können, wo man darüber schreiben kann von dieser Zeit ‚Es war einmal‘. Doch trotz allem, Mutlosigkeit gilt auch da nicht, denn es muss ja naturbedingt nach jedem Regentag ein Sonnentag werden. Sonnentag - wie sehne ich ihn herbei, auf dass das Leben wieder den Umständen entsprechend normal verlaufe. O, wie kann Kälte und Hungrigkeit verzagt machen, so verzagt, dass man das Denken und den Glauben vergessen könnte. Und doch ist Weihnachten - Lichtzeit - erst recht eine Lichtzeit, dass man frohen Mutes werde. Und dass ich Dir heute etwas Frohes schreibe, gebe ich Dir jetzt Worte von und über unser Nest. Denn nur diese Gedanken sind die rechten Kitter unserer Gemeinsamkeit und so ist auch der beigefügte Plan gedacht. Ich sehe bei der fachmännischen Ausführung dieses Planes einmal ein Nest, das sich sehen lassen kann. Wie wird Deine Küche eine rechte Werkstatt, die nur Raum sein wird für die Kochkunst, wie wird dann der ehemalige Hausflur ein Hygieneraum sein, die ehemalige Küche Heizraum und Garderobe, die Stube von Mutter ein echter schöner Wohn- und Essraum. Im 1.Stock Schlaf- und die anderen Zimmer, einschließlich Glaspalast, auf dem wir Abend- und Sonntagnachmittagstunden verbringen werden. Es wird werden. Und wenn dann ganz normale Zeiten sind, dann denken wir an ein Landheim. So wird das Erbhaus keinen Ärger mehr bieten, sondern es wird die ruhige Zeit werden, die uns Beiden gehören wird. Und für unsere Buben bringe ich dann den rechten Geist mit, gerade jetzt diese Zeit lehrt mich - Mann werden. - Und nun gute Trude - gebe ich Dir einen guten Gruß, ein Gedenken, auf dass wir ganz beieinander sind: Herr - gib Frieden, Herr - gib Ruhe, Herr - gib Kampf und Sieg, so nur werden wir treu und echt jeden Lebenskampf bestehen. Grüße alle! Dir und den Buben festen Kuss Dein Heiner

22.12.1942

Liebste Trude - für mich nähert sich die Weihnachtsstunde und es ist tragisch, dass der deutsche Mensch gerade in diesen Tagen, in den Weihnachtsstunden zu sehr denkt, zu sehr Heimweh hat - ja so ist es in der Tat. Doch alles ist ja angetan, um vorerst Kreuzträger zu werden und hat man an sich diese Berufung verarbeitet und ist man so recht fest dabei, dass man alles gegeben hinnehmen kann, ohne Schmerzen zu verspüren, dann - wird wieder die Zeit kommen, die man Frieden nennt. Frieden - wie verstehe ich heute die Zeit wahren Friedens. Ja so ist der Mensch, er steht zu jeder Lebenszeit vor völlig neuen Situationen und Aufgaben. Alles aber muss man, ob man will oder nicht, von einer hohen Warte aus sehen und erleben, nur so ist jede Lage lebenswert. Liebe Trude - wie werden wir durch all den Verzicht, all die Opfer, all die Sehnsucht ganz aneinander wachsen und im Frieden wird dann unser Leben ein Leben der Gemeinsamkeit sein. Inzwischen wirst Du wohl meine Skizze erhalten haben, ich glaube, dass alles billigst zu erringen sein wird - nun lassen wir den Frieden kommen - Die Sehnsucht aller Menschen. Und Gott ist gut, er wird helfen - und so hoffen und bitten auch wir, die wir guten Willens sind. Mir selbst geht es nicht schlechter, nur das Herz ‚rappelt‘, doch auch das - in neuer, ruhiger Lage findet sich ja dann ein Spezialist. Grüße alle! Dir und den Buben festen Kuss mit den eigenen Wünschen des Friedens immer Dein Heiner

24.12.1942

Meine liebe Trude - im bürgerlichen Leben gibt es heute einen ‚Heiligen Abend‘ - Stunden sind das, welche den Menschen in seelischen Dingen ganz und gar wachsam sein lassen, um einer inneren Stimme Gehör zu geben, die von ewigen Dingen kündet. Und um wieviel mehr ist gerade in der harten gegenwärtigen Stunde der Soldat bereit, innere Einkehr zu halten - zu sinnen, sich zu erinnern. Da gehen die Gedanken am Heiligen Abend zurück in die Kindheit, durchlaufen die Jahre der Entwicklung im Elternhaus, durcheilen die Zeiten als Jungmann und Mann in der Fremde und bleiben bei denen, welche seine Gemeinschaft bilden haften, bei seiner Familie - und das gibt kein sentimentales Heimweh, sondern ein inneres Bereitsein, um ganz bei den Lieben zu sein. - Und hier draußen im Feld weiß man, was die Persönlichkeit des Mannes für das Vaterland, die Heimat bedeutet - und der Mann selbst weiß aber auch, wie gerade ihm die Worte des Apostel Lukas so starke zuversichtliche Worte sind, die er uns am heiligen Abend zuruft, auf dass wir wachsen an Alter und Weisheit und Gnade vor Gott und den Menschen. Christi Menschwerdung war in eine harte Zeit gestellt, sein Leben war ein harter Weg - und so ist des Soldaten Weg heuer und solange er nicht vom Fahneneid entbunden ist, ebenfalls ein Weg voller Hindernisse, die überwunden werden müssen. Nur so wird uns eine Parallele klar zwischen der Tat des Gottessohnes und der Tat des Soldaten gegen einen dämonischen Feind, der Gott bewusst ablehnt und von dem Christuskind einfach nichts hält. 

Der deutsche Mensch ist nicht kindisch sentimental in der heiligen Nacht, sondern berührt on einer Sehnsucht, die Frieden heißt, von einem Drang, nun erst recht treu dem Fahneneid bewusst Kreuzträger zu sein, weil er weiß, dass das Opfer nicht so groß sein kann, als dass dies niemand tragen könnte. ‚Heiligste Nacht, Engel verkünden den Menschen den Frieden, Frieden auf Erden, den Menschen ein Licht . . .‘ Ein Licht - in tiefer Not, in harter Bereitschaft lassen diese Textworte des Liedes in der Weihnacht den soldatischen Menschen eigenartig im Herzen eine Fackel entzünden, die brennt und will, dass der Sieg sein sei, sowohl der Sieg über den ‚inneren Schweinehund‘, als auch der Sieg über diesen ‚roten Feind‘. Christi Licht leuchtet wieder im Osten Europas, schon deshalb glaube ich, dass dies Kind von Betlehem uns den Sieg schenken wird und allen Soldaten den Frieden des Herzens im härtesten Kampfgeschehen ahnen lässt. Zwischen Don und Wolga erlebe ich den Krieg in seiner härtesten Konsequenz und es wird für mich einmal ganz schwer sein, Menschen, die nicht in solcher Lage standen, die rechte Antwort auf Fragen über mein Erleben dieses harten Krieges zu geben - das ist nicht schlimm, schlimmer ists, dass ich - den Herrgott bitte ich täglich darum - dass ich nicht murre und hadere, warum er solche Härten einige tausend Menschen nur tragen lässt - und doch weiß ich um das Erleben heute schon, wenn der Gottessohn auch mir die Heimkehr und das Erleben des Friedens schenken wird, wie gerade der Gedanke des Kreuztragens mich in jeglicher Lage, klar und offen vorm Herrgott bestehen lassen wird. Und diese Einstellung und dieses Bewusstsein ist vielleicht das schönste Geschenk des Heiligen Abends, wo Du und die Buben und Ihr alle zu Hause hier im Erdloch mit geborgen seid gegen eine Welt von Feinden, die einen Herodes als Wegweiser haben, während mein und Euer Geborgensein aber vom Kind von Betlehem sicher geleitet wird. ‚Draußen heulet der Sturmwind über die Steppe, bringt weiße Flocken Schnee mit und deckt sanft und lautlos die Erde in der Heiligen Nacht mit einem weißen Kleide zu. Durch die eilenden Wolken, deren Weg von Osten nach Westen - dort die Heimat ahnen lassen, blicken schüchtern und vorwitzig gar die Sterne und lassen uns in heiliger Nacht den Stern ahnen, welcher der Menschheit einst die Liebe des großen Gottes zeigte. Das weiße Kleid der Landschaft lässt uns Menschen eine Reinheit ahnen - es deckt die Spuren des Schmerzes zu. Geknatter der Gewehre, Donner der Bomben und Kanonen singen zwar in schauerlichem Akkord - doch einer schenkt uns diese Nacht - erst recht voller Liebe - für die Heimat und die Lieben, Männer der Tat, des Opferns zu sein, im Beispiel des Kindes von Betlehem.‘ Grüße alle mit christlichem Brudergruß! Dir und den Buben festen Kuss Dein Heiner.

Mein liebes Trudekind - heute ist das Fest der Unschuldigen Kinder und da erinnere ich mich, dass ich vor 10 Jahren ungefähr an diesem Tage aus Richtung Sigmaringen nach Beuron wanderte und als ich ins Tal kam, mit festlichem Glockengeläute empfangen wurde, also rechtzeitig ins Konventamt kam - und nach all den einmaligen Natureindrücken des Winters dieser Landschaft mit den Gedanken einer echten, innigen Dankbarkeit dem mystischen Opfer innerhalb dieser benediktinischen Familie beiwohnte. Friede der Seele konnte ich an diesem Tag sagen, der auf Körper und Geist wohltuend wirkte.  - Ich denke dieses Jahr besonders daran, weil der Fest- und Gedenktag der Kirche heute uns erinnert an ein Ereignis, welches ebenfalls an die schlimmsten Stunden eines grausamen Kriegsereignisses gleichsam erinnert, und deshalb kommt mir der Gedanke, dass ein ‚Bereitsein‘ der Soldaten gegen den Dämonen Russe sicherlich im erweiterten Sinne dem Herodesgeschehen zu vergleichen ist und somit dieser Feldzug im Osten wirklich ein Kreuzzug von Unschuld gegen die Schuld ist und uns dieser Endsieg gegen diese Teufel vorkommen wird, als wenn eine Gottesgeißel von der Menschheit genommen sein wird, so wie es in kleinerem Maße bei Herodes Tod gewesen war. Ich konnte damals auch das Klausurleben der Mönche kennenlernen, da ein Pater dort aus unserem Dieburger Konvikt hervorgegangen ist und konnte an dem Urquell einer erhabenen, vergeistigten Kunst die Werkstätte, Kunstwerke und Künstler bewundern. 

Wie waren das alles damals Eindrücke für einen fahrenden Scholaren und wie lebte ich an diesem kalten Wintertage gleichsam wie im Himmel. - Und heuer stehe ich mit Tausenden grauer Kameraden in harter Wirklichkeit - und ersehne mir vom Herrgott nur eine einzige Stunde solch einer Friedensseelenstunde - und wann wird das sein? - Der Herrgott weiß es und so will ich, wollen wir alle vertrauen der Stunde und es wird schon alles gut werden. Und nun erzähle ich Dir von meinem Heiligabend Herzenskind. In unserem Erdloch hocken wir zu 30 Mann unter der Decke. Draußen ist die herbe, eiserne Musik des Krieges. Der Bunkerälteste ging gegen 18 Uhr in den Chefbunker, besser ins Chefloch und empfing einen großen Tannenzweig. Alsdann kam der Küchenuffz. und gab uns unser Extrageschenk. 1 ganzes Kommissbrot und 1 Tafel Schokolade - und dann war das Freudenmal - sich mal satt zu essen, ohne zu sparen für den anderen Tag. Meine Tischrunde - 4 Mann - röstete ein paar Schnitten Brot, um Knabbern zu können zur Schokolade. (Probier das mal zu Hause. 1 Schnitte Brot in einer Eisenpfanne oder auf der Ofenplatte zu rösten, aber ohne Fett und Öl!) Die Schnitte wird dann beim rechtzeitigen Wenden schwarz und braun und dann kalt, ohne was drauf, gegessen. Diese Art Kost werden wir in unserer Familie in rauer Wirklichkeit einmal, ehe wir an Heiligabend zu Kuchen und Gebäck greifen, jeder Angehörige 1 Schnitte vorher essen, zum Andenken an diesen Feldzug und diese Weihnacht - und wehe dem, der die Schnuss verzieht! - Ja und dann machte der Heiner weiter: ‚O du selige . . .‘ und ich erzählte vom Heilsgeschehen und las dann die Heilsgeschichte nach Lukas vor und aus tiefem Herzen sang es dann die Schar, das alte Lied ‚Stille Nacht . . .‘ Die Älteren sannen dann nach und waren bei ihren Lieben daheim, und unseren Jungen rannen die Tränen, ja gerade für die Jüngsten ist der Krieg doch doppelt schwer, sie werden zu Männern wohl, aber auch früh zu Greisen und es ist gut, dass die Alten tiefer und bewusster Kriegsgeschehen und Alltag kennen. Alsdann hörten wir am Funkgerät die Weihnachtsringsendung und der Sprecher von Stalingrad sprach die Wahrheit und aus unseren Herzen. Unsere Lichter waren dieses Jahr die Leuchtkugeln und der Herrgott gebe es, dass uns allen wieder das Glück werde, wieder in die Kerzenlichter bei unseren Lieben daheim zu schauen - und dann in Frieden zu sein. - An P&D schrieb ich inzwischen, wie auch an die Eltern meinen Weihnachtsbrief und es heißt, dass wir auch bald mit Post aus der Heimat rechnen können. Unsere letzte Post erhielten wir am 16.11.1942 - also eine lange Zeit und es wird wohl sicher die längste Zeit gewesen sein. Der Russe macht uns zwar schwer zu schaffen, doch die Post werden wir dann doch mal reinbekommen. Für heute nun genug. Ich hoffe, dass meine Post Dich prompt erreichen wird und somit weiß ich, dass dann auch Deine Antwort an mich unterwegs ist. M.S.B. sind naturbedingt noch nicht bei der Batterie, die warten aber draußen und dann höre ich auch noch so von Dir. Ich grüße alle! Dir aber und den Buben festen Kuss Dein Heiner

10.01.1943

Meine liebste Trude - nun haben wir unseren Stellungswechsel an einen ruhigeren Abschnitt des Festungsabschnittes hinter uns - und ich wohne in einem Stall mit unseren Kochs, da ich ja jetzt Rechnungsführer, Schreiber und Verpflegungsverteiler für unsere Abteilung bin, d.h. wir sind 5 Batterien aus verschiedenen Ari-Abteilungen. Unsere 1.Batterie ist Infanterie-Reserve und gegenwärtig erholen wir uns von unseren Neujahrsstrapazen. Leider hatten wir im Infanterieeinsatz viele Verluste, trotzdem wir uns tapfer, tapfer geschlagen haben. 1 Offz. Und 1 Uffz. Und 7 Mann blieben auf dem Schlachtfeld und 2 verwundet und fast alle anderen Teilnehmer der 45 Mann sind mit Erfrierungserscheinungen behaftet, das ist halt der Wintereinsatz - und trotz allem haben wir gehalten, wie alles befohlen war. Unsere Verpflegung ist noch zeitgemäß z.B. 100 g Brot am Tag, doch auch das haben wir durchgebissen und es ist nun so, dass der Führer auf die in der Festung stolz sein kann, denn nicht wie 1918 wird gemeutert, sondern jeder Soldat ist eben davon überzeugt, dass auch gewiss Notlagen gemeistert werden müssen. Wir habens geschafft und ich bin stolz darauf, dass ich hier mitmachen darf, denn ein Stück Heldentum zeigt sich erst, wen der innere Schweinehund sich regen will und dem stolz und tapfer begegnet wird. Sorgen brauchst Du Dir keine zu machen - alles liegt in Gottes Hand - das Gute und Schöne, aber auch die Sorgen. Leider haben wir noch keine Heimatpost bekommen können, doch auch das wird sich ändern, alles zu seiner Zeit - und dann ist die Freude groß. Heute mache ich Dich mit unserem Haus- und künftigen Familienschild vertraut, zu deutsch ‚Mit Gott wird alles gelingen!‘ Heil und Sieg - In Christus unserem Bruder und König. Steil und kantig ist der Weg durchs Leben und doch sprießen die Frucht und die Früchte hervor in Knospen und Blüten und neigen sich opfernd und demütig vor Gott und dem All, das der Herr in seinen Händen hält und vertrauen in jeglicher Lage. Schlüssel und Stern sind die Zeichen der alten Nibelungenstadt, künden von Heldentum und starken Menschen, denen wir nachahmen. Wir A = Adam = eine kleine Sippe. Ich der letzte Namensträger unserer Sippe - doch der Herr gab uns 2 Buben. Also leben wir im Auftrag. Dies Schild kommt ungefähr an der Stelle in Stein, wo jetzt noch die vordere Haustür ist - und kommt in kleinerem Maße auf die Kreuze von meiner Eltern- und Tonis Grab: Dreiecksschild im Maße der Zahl 7 - die Gaben, die wir vom hlg. Geist erbitten; Dreieck, weil wir alles in die fruchtbaren Hände der hlg. Dreifaltigkeit legen. Bitten wir den Herrgott, dass er uns glücklich in den Frieden bringt. Grüße all! Dir und den Buben festen Kuss Dein Heiner

Zwischen den Jahren 1942/43 lieber Papa und liebe Mama - ich komme in meinen Gedanken an den Festtagen zwar etwas spät, doch ich komme und meine Wünsche sind die, dass der Mensch in seinem Wissen und Können, seiner Freiheit und in seiner sich selbst gegebenen Gebundenheit, in seiner Freude, wie in seinem Schmerze ach so unendlich klein ist, klein vor sich selbst und ach so ohnmächtig den Prüfungen eines großen Gottes gegenüber. Gottes Ratschluss ist unerforschlich, wie habe ich das seit dem 20.November verspürt. Plötzlich kam in unsere gesicherte Donbogenfront ein Zittern und ein Beben, der Dämon Russe brach bei den Rumänen durch und bedrohte unsere Flanken. Wir zogen uns nicht nach Westen zurück, sondern die bedrohten Divisionen marschierten in Eilmärschen nach Osten in den Raum von Stalingrad. Da die Protzen ca. 80 km zurücklagen, kannst Du Dir denken, wie viel wertvolles Kriegsgerät vernichtet werden musste, nur um das Loslösen vom Feind sicherzustellen in der kurzen Zeit von 2 x 24 Stunden. Ein kläglicher Rest von Fahrzeugen mit Kanonen führte uns in die befohlenen Räume. Alles Gepäck, was nicht lebensnotwendig war, wurde vernichtet und so laufe ich schon 2 Monate im selben Hemd Du wurden im Freien verbracht, bis wir vor 14 Tagen Erdlöcher bezogen, die einigermaßen gegen die Witterung schützen. Trotzdem hat man Tag und Nacht die Mäntel an und hockt unter der Decke. 

Dabei ist die Verpflegung den Umständen angepasst, da wir nur auf Luftversorgung angewiesen sind - und so war unser diesjähriges Weihnachtsgeschenk 1Kommissbrot zusätzlich die willkommenste Gabe. Wir sichern und halten den Russen gegen Westen hin bis unsere Divisionen den Russen in seinem eigenen Plan erstickt haben werden. Und zuversichtlich schauen wir den nächsten Wochen entgegen, denn wir haben bis zur Stunde allen Angriffen, auch den heftigsten, standgehalten. Was unsere Infanteristen in der Kälte ausgehalten haben usw. - ein stilles Heldentum ist das. Eine Verbissenheit, eine Härte ist in uns - und so gelingt des Führers Plan, auch den General Winter zu besiegen. - Bei einer glücklichen Heimkehr können wir uns ja dann besser unterhalten über das schreckliche Erleben meines Kriegsteilhabens. - Nun, lieber Papa und liebe Mama - die Zeit des Jahres - zwischen den Jahren - sind Tage der Besinnung, des Erinnerns - und so sage ich Euch herzlichen Dank für alles Gute, das Ihr meiner Familie in dieser Kriegszeit tut, und seid versichert, mein Opfer und mein Tun ist nichts Sentimentales, sondern ein kleiner Dank auch für Eure Sicherheit. Ich weiß, dass Ihr auch Unangenehmes durch das Zusammenleben auf Euch nehmen müsst, aber tragt es mit Geduld, wie auch ich geduldig sein muss. Wir sind eine Gemeinschaft der Familie und so lasst mich in tiefer Dankbarkeit Euch die Elternhände drücken, die für mich ebenfalls die ‚Heimat‘ bedeuten. In meinem Erdloch liegen 31 Mann, denen erzählte ich am Heiligabend von der Schönheit der Heimat, von den Menschen in der Heimat, vom immergrünen Lichterbaum und vom Christuskind, das in den ersten Stunden seiner Geburt so heimatlos war und las ihnen dann die Heilsgeschichte vom Apostel Lukas vor. ‚Stille Nacht . . .‘ sangen dann innerlich warm gewordene Soldaten in den harten Alltag hinein und Gott ist gut, trotz allem Leid, das er uns schickt. 

Wir wachsen daran, werden groß und bekommen den rechten Sinn zur Heimat und Gemeinschaft des Volkes und der Familie. Und so wie der Engel verkündet den Frieden, die Liebe - so wollen wir erst recht erfassen den Sinn dieses Krieges, den Dämon des bösen Engels in der Menschheit immer in uns und um uns zu besiegen, auf dass wir echte Gotteskinder seien . . .‘ den Menschen ein Licht . . .‘ Dies Licht leuchte von Euch, liebe Eltern, zu mir, wie von mir zu Euch - und bleibe hell in der Liebe und Verehrung und Dankbarkeit! Gesegnete Weihnacht und ein glückhaft, gesegnetes Neujahr Euer Ältester, der Heiner aus Horchheim.

Liebe Hedwig - Weihnacht und Neujahr sind besondere Tage des Gedenkens und so sage ich Dir herzlichen Dank für alles Tun an unserer kleinen Familie - ich wünsche Dir alles Gute und alles Glück echt christl. Erlebens für die kommende Zeit. Die Lichter des Weihnachtsbaumes verbinden deutsche Menschen von der Heimat zur Front und von der Front zur Heimat - heil Dir! Dein Schwager Heiner

Liebe Emmi - Weihnacht und Neujahr mögen Dir und Deinem Bräutigam ein Auftakt zur glücklichen Zukunft werden, denn nach jedem Krieg kommt auch ein Frieden - und der Frieden ist Euch sicher, wenn Ihr echten guten Willens seid. Freut Euch in Eurer jungen Liebe und seid froh, denn die Zeit braucht frohe Menschen, die andere Menschen im Beispiel aufmuntern. Heil Euch Euer Heiner

Lieber Karl - innerlich bewegt wirst Du am Weihnachtsabend in die Kerzenflammen des hohen Domes geschaut haben, und ich weiß, dass Deine Gedanken auch bei Deinen Brüdern waren. Ich stehe mit meinen Kameraden und sichere am Don gegen Westen und meine Lichter waren die Leuchtkugeln in der kalten Winternacht - und meine Gedanken irrten weiter nach Westen zur Heimat. Lass uns Beide - Du und Deine Braut - froh und doch ernst der Zukunft das Beste abgewinnen in Freundschaft und Liebe, wie es Christen so eigen ist. Dir und Eri wünsche ich ein glückvolles Jahr 1943 in Eurem Brautstand, auf dass Ihr glückliche Menschen bleibt und Euch immer näher findet in heiliger Gemeinschaft. ‚Friede den Menschen, den Menschen ein Licht . . .‘ wir alle stehen dafür. Euer Heiner

Eugen und Walter - Euch kann ich umständehalber noch nicht schreiben, doch unsere Heimatgemeinschaft - unser Elternhaus, wird Euch grauen Kameraden meine Wünsche übermitteln. - Krieg ist ein hartes Handwerk, wir wachsen aber daran und werden zu Männern, die der Welt das Beste abgewinnen in zähem Kampf. Donner der Kanonen, Geknatter der Gewehre, Gesurr der Maschinen in der Luft und auf der Erde sind unsere Weihnachtsmusik. Die Leuchtkugeln in allen Farben sind unsere Symbole der Kerzen des immergrünen Baumes - doch im Herzen wächst die Liebe zur Heimat und der feste Mut, jetzt erst recht für unseren Fahneneid einzustehen, auf dass eine glückliche Friedenszeit werde. Wir wissen um die Schicksale vieler Menschen - wir wissen um Opfer und Schmerz - wir wissen erst recht und zum Trotz aller Welten, dass der Herrgott uns deutschen Soldaten nach eisernem Fleiß den Sieg - und nach des Engels Mund über alle Teufel im Kampf und Ringen schenken wird den Sieg, schenken wird uns aufs neue die Heimat. Euer Soldatenbruder Heiner

Und so schließe ich die Ringsendung mit Worten der Liebe an meine Liebste.

Liebe Trude - und Ihr meine Buben - den Weihnachts- und Neujahrswunsch sandte ich Euch - doch jetzt lasst mich Euch, auf dass das Band der Gemeinschaft geschlossen sei - Euch ebenfalls von der Front her rufen: ‚Frieden den Menschen, den Menschen ein Licht . . .‘ - bleibt in frohem Mut - Ihr mir die Liebsten der innigsten Lebensgemeinschaft - Festen Kuss Euer Heiner

Das waren die Briefe aus dem Kessel von Stalingrad vom 3.12.1942 bis 10.1.1943. Seit dem 16.11.1942 war keine Post mehr aus der Heimat angekommen. Dass ein Mensch in solch einem menschenunwürdigen Zustand (Heiner schreibt: völlig verlaust, Hemd und Unterhose seit 2 Monaten nicht gewechselt, keine Möglichkeit sich über Nacht auszuziehen, sondern immer in Uniform und Mänteln, oft nächtelang im Freien bei klirrender Kälte) überhaupt fähig war, solche Briefe zu schreiben, grenzt an ein Wunder. Zwei mit dem letzten Flugzeug aus Stalingrad zurückgekehrte Soldaten sagten, dass Heiner für sie zurückgetreten sei, obwohl er zum Heimflug seiner körperlichen Verfassung wegen abgestellt war. Er habe noch seine letzte Zigarette verschenkt. Mit seinen 34 Jahren war er ein Idealist geblieben. Nach Heimkehreraussage sei er mit diesem noch bis 1945 im Kriegsgefangenenlager gewesen und sei dann im Kriegsgefangenenlazarett in Wolsk, nördlich von Stalingrad, zwischen dem 4. und 5. März 1945 gestorben.

 

Von den Briefen Nr. 1 – 10 fehlt der Nr. 9

Die noch in deutscher Schrift verfassten Briefe wären meines Erachtens wert, in einem historischen Archiv als Zeitdokumente aufgehoben zu werden.
Von der Wehrmacht war 1943 die Vermisstenmeldung gekommen und nach verschiedenen Heimkehreraussagen blieben Zweifel, ob die Todesnachricht auch wirklich stimmt. Und so blieb jahrzehntelang die Hoffnung auf eine Wiederkehr, was Träume zur Wirklichkeit erscheinen ließ.

Da entstand dann nachstehendes Gedicht:

Heimkehr der Gefangenen
Bangendes Warten, das sich erfüllt.
Schmerzvolles Sehnen endlich gestillt. -
Arme sich breiten, ein liebend Umfangen im Schutze der Heimat! -
Alles Hangen vergangener Jahre sinkt ab.
Der Krieg hat ein Ende, das Leid nun ein Grab.
Viele, die schrieben, sie kehren heim.
Bald werden es ihrer Tausende sein. -
Und alle die andern?
Die Brüder, die Söhne, die Gatten, die Väter,
die Töchter, die Mütter, die Frauen, die Schwestern?
Wann, wie und wo verstummt ihre Qual?
Wer könnte sie nennen, die endlose Zahl bleicher Gesichter?
Und jene daheim, die hoffen vergebens, grausam vernichtet im Kern ihres Lebens?
Wehmütig lächelnd träumt oft ihr Blick in unvergessene Tage zurück.
Wo das Dunkel noch ungeboren.
Wirklichkeitsfern, den Alltag nicht fassend,
schreiten sie ewig hoffend dahin.
Für sie wird der Krieg erst ein Ende finden, wenn über den Sternen winkt neuer Beginn.

Trude Fiedler (verw. Adam)

 

Wann meine Mutter die Sütterlinbriefe abgetippt hat, weiß ich nicht. Sie sind auch noch einmal fotokopiert. Auch wann sie das Gedicht geschrieben hat, weiß ich nicht. Ich muss die Briefe während meiner Studienzeit eine ganze Nacht lang gelesen haben, da ich mich in das Sütterlin erst einlesen musste.

Mein damaliger Eindruck, ausgerechnet Hitler als Gottes Mittel gegen den atheistischen Kommunismus zusehen, macht mich nach wie vor sprachlos. Ich stelle mir Kameraden vor, die das auch nicht verstehen konnten. Heldenhafte Kreuzträger und Ähnliches, aber vielleicht hat er darüber gar nicht gesprochen, sondern nur geschrieben. Dass er die Weihnachtsgeschichte nach Lukas vorgelesen hat, dafür waren ihm die Kameraden wohl dankbar.

Eine Erklärung für sein Verhalten ist vielleicht, dass er katholischer Priester werden wollte und mit der Schönstattbewegung verbunden war. Er führte auch in seiner Jugend in der Quickbornbewegung einen Briefwechsel mit dem Jesuiten Alfred Delp, der im Rahmen des Stauffenberg Attentats hingerichtet wurde.